Das Kind, vor der prächtigen Moschee, rief staunend aus
Allah, für Dich allein so ein großes Haus!
Ob es das Wort des Sufi ist oder die Weisheit des Pandit:
nur was du selbst erfahren hast, halte auch für wahr
Ob man die Gita hersagt, ob man den Koran liest
unsere Liebe allein ist die ganze Weisheit des Buchs
Drinnen bringen sie dem Bild aus Stein alle Köstlichkeiten dar
draußen vor dem Tempel steht Gott und bittet um Brot
Das ganze Leben in die Irre gegangen,
ungelöst der Knoten im Geist
man trennt sich von dem einen,
nur um auf den andern zu warten
Aus dem Urdu übersetzt von Rainer Kimmig
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Diese Hure
kennt so manche Männer
vielleicht darum
weiß sie mehr von der Welt
in ihrer Kammer
hat sie Bilder hängen vom Gott
einer jeder Religion
nicht bloß zur Schau
wie die Reden der Politiker
ihre Tür
ist bis spät in die Nacht geöffnet
Hindus
Muslimen
Sikhs
Christen
Männern jeder Kaste
Gott allein weiß
wann die Weitherzigkeit ihrer Kammer
auch im Hof
des Tempels
und
der Moschee möglich sein wird
Aus dem Urdu übersetzt von Rainer Kimmig
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Nach der Rückkehr aus Pakistan
Das Vieh im Menschen ist dasselbe
hier wie dort
Gott wacht über allem
hier wie dort
Die blutrünstigen Raubtiere
heißen nur anders
Die Öde der Städte ist dieselbe
hier wie dort
Ob Allahs Allmacht,
ob das Bildnis Bhagwans
jedes Spiel hat sein Feld
hier wie dort
Der Hindu ist bester Laune
so auch der Muslim
nur der Mensch weiß nicht ein mehr noch aus
hier wie dort
Rauch steigt auf aus Herz und Seele
hüben wie drüben
Mirs Divan ist derselbe
hier wie dort
Mir: Mir Taqi Mir, der bedeutendste Urdu-Dichter des 18. Jahrhunderts
Divan: Gedichtsammlung
Rauch steigt auf aus Herz und Seele: Anspielung auf einen berühmte Vers von Mir.
Aus dem Urdu übersetzt von Rainer Kimmig
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Ich kam nicht an dein Grab
die Fatiha zu beten.
ich wußte
du kannst nicht sterben
der die wahre Nachricht von deinem Tod in die Welt gesetzt hat
er lügt
das warst nicht du
der Wind hat nur ein verdorrtes Blatt losgerissen
meine Augen
sind noch immer in der Erinnerung an dich befangen
nichts anderes
kann ich sehen
nichts anderes denken
die Welt, in der man dich rühmte und schmähte
sie hat sich kein bißchen geändert
deine Hände atmen in meinen Fingern
sooft ich nach Feder und Papier greife
sooft ich in meinem Sessel sitze, spüre ich darin dich
in meinem Körper das Blut kreist
zusammen mit deinen Fehlern, deinen
Mißerfolgen
In meiner Stimme verbirgt sich
dein Verstand
in meinen Krankheiten du
in meiner Hilflosigkeit du
Der auf dein Grab deinen Namen geschrieben hat
er lügt
Ich bins, der in deinem Grab liegt
du aber lebst in mir
wenn du mal Zeit hast, komm doch, eine Fatiha für mich zu beten
Aus dem Urdu übersetzt von Rainer Kimmig
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Ein Metzger
warf einen ausgeschälten Knochen weg
an der Ecke
sprangen bellend zwei Hunde auf
der eine hob den Fuß
der andere schlug mit dem Schwanz auf den Boden
und schon kläffte die ganze Meute
Ich weiß nicht weshalb ich mir
am liebsten die Kleider
heruntergerissen hätte, um mich an der nächsten Kreuzung
mit Gebrüll auf alles zu stürzen
die ganze Zeit
dann, müde, mich irgendwo
ausstrecken
jahrtausendealte Wahrheiten als Lügen entlarven
Aus dem Urdu übersetzt von Rainer Kimmig
...
Schreib:
in den Klauen des Adlers
der Kopf einer Schlange
Schreib:
die Haube der Schlange
über einer Eidechse
Schreib:
im Mund grad dieser Eidechse
eine Grille
Schreib:
im Griff der Grille
eine Ameise
Schreib:
jeder hier ist in der Gewalt
eines anderen
Schreib:
keiner ist gut
keiner ist böse
Schreib:
Farbe ist, was dem Blick
roh scheint
Der Schmerz bei jedem Atemzug -
auch er ist wahr
Dieser Schmerz
ist Kampf, ist Traum
Schreib:
er ist auch der Mondschein
in der Finsternis
Aus dem Urdu übersetzt von Rainer Kimmig
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Was man verliert, wenn das Leben schenkt,
heißt in der Dichtung Ghazal
Die Tränen, die einem beim Lachen kommen:
welch stechender Schmerz in jedem Glück
Hier Augen, da ein Gesicht, dort Lippen
nie findet man eins zusammen mit den andern
Im Finstern leuchtet Schweigen
Sternschnuppen sieht man nur bei Nacht
So verstreicht das ganze Leben:
immer suchen wir jemand in jemandem
Im glühenden Sand, wo gab es da Wasser?
Eine Wolke war verborgen im Durst
Schwer ist ein Leben ohne Zuhause
auch Unbehaustheit braucht Stil
Aus dem Urdu übersetzt von Rainer Kimmig
...
Gesehen so manches, auch
gedacht so manches
stets hat mir sich dabei
verwirrt so manches
Mag sein, da ist ein Weg
doch führt er nirgends hin
vor mir, wie ein weiter Wald
verloren so manches
Am Strand im nassen Sand
kindliches Spiel
jeden Augenblick fügt in mir sich
Zerstreutes so manches
Zeit, die mir gehört, ziert heute mein Haus
fast möchte man glauben
aus jedem Ding lächelt
weinend so manches
Verschommene Erinnerung
an die Lampe auf einem Grab
doch rings um mich
leuchtend so manches
Manchmal, da haben wir unser Herz verströmt
was wir selbst nicht verstanden, haben wir andern erklärt
Aus dem Urdu übersetzt von Rainer Kimmig
...
Eine Mutter in Karachi
der Sohn im fernen Bombay
dieses Band keuscher Liebe
bis heute
konnte es keiner zerreißen
kann es keiner zerreißen
das Radio lügt, verlogen, was in den Zeitungen steht
Niemals ist meine Mutter mit gezücktem Schwert in die Schlacht
gezogen
Niemals habe ich das Gewehr auf meine Mutter gerichtet
Welch Lärm, welch Getöse
was für ein Krieg
Aus dem Urdu übersetzt von Rainer Kimmig
...
In der Welt von Moschee und Tempel
wer kennt mich da schon?
Nacht für nacht gehe ich auf im Mond
Tag für Tag strahle ich in der Sonne
Ich funkle in Mutters Schmuck
lache heimlich in den Schwestern
Ich bin im Schweiß des Arbeiters ...!
Ich bin im Regen des Monsuns
Mein Bild ist die Träne im Auge
meine Sprache der Zauber des Leibs
Doch wenn in der Welt von Moschee und Tempel
keiner mich kennt, dann
Nehme ich das Licht hinweg von allem Land
kehre zurück in meinen Himmel
Dann bin ich Gott und halte furchtbar Gericht
Aus dem Urdu übersetzt von Rainer Kimmig
...