Marchand Du Sel, hüter Der Schwelle Poem by Wolfgang Tietze

Marchand Du Sel, hüter Der Schwelle

Weiß… es weiß, die erste Seite ist leer,
über ihr die Luft.
Ihre fast eigensinnige Formwerdung lässt das Papier
in der Entstehung aussehen
wie verschüttete Milch,
wenn es sich als Rahm/en,
Materie manifestiert.

Die zweite Seite gehört Jean Cocteau. Dort heißt es:
Die Stille läuft schneller zurück. Dreimal
(„ein halbes Glas Wasser erleuchtet die Welt") , -
ein kleines Bild unten links zeigt im Frontispiz.
ein Paar, das sich den Sternen hingebungsvoll entgegenstreckt.

Die dritte Seite ruft verschoben eine Wahrheit
von Marcel Duchamps telegrafierter Antwort an Picabia wach: „Dieu bourdelle Dieu";
denn sie zeigt ein Foto, von ihm aufgenommen,
das den Titel „Faux-Vagin" trägt,
es ist die Abbildung eines Autokennzeichens.
Das sichtbare weiße „T" darauf ist im Inneren bekritzelt
(es hat die Form eines Taw) , mit „Marcel" signiert.
Somit ist jeglicher Besitz wohl aufgehoben.

Die vierte Seite ist eine Abbildung der schweren braunen Eichentür aus Duchamps „Etant donnée…" mit den Gucklöchern von/für ästhetische/n Okulisten/Schützen
(das einzige, was von der Installation fotografiert werden darf laut seiner Anweisung -
nur eine unsichtbare Hand vermag anderes, hineinzugreifen) .
Das Bild soll die Größe der weißen Schachfigur vom achten Tag haben.

Die fünfte Seite zeigt einen gemalten weißen Würfel,
an der Seite, zugewandt strahlend
die schwarzen Punkte der „Fünf".

Die sechste Seite zerreißt alle anderen Seiten und weitere
in unregelmäßige Zettel, die oder nicht/zum Projekt gehörten.

Die siebte Seite schläft in weißen Sonnen, ist daher doppelt unsichtbar.

Die achte Seite ist eine hohe weiße Wand (ein Foto des Studios Duchamps`) .
Hoch oben links sieht man angewinkelt die „Krone", das Oberste eines Flaschentrockners, höflicher (?) : eines Garderobenständers.
Rechts und etwas tiefer das Bild zweier Rauten,
gemittelt von aufeinanderstehenden schwarzen Dreiecken, im Rahmen.
Viel leerer Raum strahlt von der Mitte des Raums;
unten ungefähr mittig das Bild
eines weißen Schachspringers
auf schwarzem Grund. Im Rahmen.
Links daneben eine Tischlampe
(man darf sie an- und ausknipsen) Ende.

Die neunte Seite bildet (nicht: zeigt) das kleinePoem

Aufforderung zum Tanz

Die weiße Seite ist deine weiße Wand weißer
winterlicher Schnee mit Stapfen, Buchstaben,
Schmelzstellen dunkler Erde.

Ich weiß, Du siehst mich an eher, als ich gewahren kann:
wo Zeit langfegt, da beruhst Du mich,
wo der Schlaf ins falsche Vergessen gleitet,
rufst Du sanft.
Jetzt scheint durch das Fenster der Vollmond,
Perlmuttaura unserer Nacht.
Es ist wahr.

Weißes Blatt. Ja, und in der darauffolgenden
bin ich dann im Traum zum Raum geworden in geschehender (Ver) -wechslung,
Maya, einmal und wieder gehoben
Von wie sichtbarer Hand, meiner,
ich sehe sie dann,
alles ist aufgenommen
im guten Tanz des Werdens,
Wasser gleitet gleich Haaren
in unabsehbaren Linien,
schwebt um beringte Finger
und öffnet im Garten vor der Tür
diese weiter weitende leichte Höhlung
mitten in der Tiefe des Himmels und der Erde,
ist dort das Brautbett eines geretteten,
aus dem Nest gefallenen Vogels,
schwingend singend sind die Lider der offenen Nacht.

Saturday, May 18, 2024
Topic(s) of this poem: faith
COMMENTS OF THE POEM
READ THIS POEM IN OTHER LANGUAGES
Close
Error Success