Freitag: ich streife durch die Stadt, deren Harmonie
nichtmal die Nachbarschaft von Kirchen
und Puffs, Friedhöfen und Sonnenstudios stört, vorhin
zog hier mit festem Tritt ein Gewitter durch, die Äste
der alten Bäume wippten haltlos mit wie
Teenies in Pornofilmen, ich streife durch die Stadt,
treffe Dichter, Musiker, Maler, Kinder
der Revolte von '68, sie hocken in den Cafés
wie Nüsse im Inneren einer großen Torte, inzwischen
nur noch davon träumend, dass jemand in der Straßenbahn
ihnen seinem Sitzplatz anbietet, aber sie haben nicht den Mut,
darauf zu bestehen, ich streife umher und höre das „Requiem"
von Mozart und frage mich, wer von uns denn
einen solchen Abschied verdiente, solche
Ehre. Es heitert sich auf, im Park liest eine knochendürre Frau
in der Bibel, ein Stück weiter simuliert Jugend das Vermehren.
Ich stoße auf ein Denkmal von Kepler
und sein erstes Gesetz: die Umlaufbahnen der Planeten sind
Ellipsen. Wohin führt mich
die heilige Geometrie dieser Stadt noch. Tourist aus Polen,
entspann dich, setz dich ins Gras, schau auf die Spatzen,
kapier doch, der Park ist kein vergewaltigter Wald.
...
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