Lamento über Belgrad Poem by MILOŠ CRNJANSKI

Lamento über Belgrad

JAN MAYEN, mein Srem,
Paris, meine toten Freunde, Kirschen in China,
all das erscheint mir noch, solang ich hier liege,
schweigend, wach, sterbend,
erkaltet, ein Scheit in der Asche.
Aber, das sind nicht mehr wir, nicht das Leben, nicht die Sterne,
sondern Ungeheuer, Polypen, Delphine,
sie werfen sich über uns, eine Flut, sie reiten
uns heulend: „Staub, Asche, Tod ist's."
Sie rufen, russisch: „nitschewo" -
und spanisch: „nada".

Du jedoch wirst größer mit dem Morgenstern,
mit dem blauen Avala, in der Ferne, wie ein Berg -
Du zitterst, als erlöschten hier die Sterne.
Du schmilzt, wie die Sonne das Eis der Tränen schmilzt.
Sie wohnen nicht in Dir: Sinnlosigkeit nicht, Tod nicht.
Du funkelst: ein wieder gefundenes Schwert.
Alles ersteht in Dir auf, und tanzt, und dreht sich, kehrt wieder,
wie der Tag, wie das Weinen der Kinder.
Und wenn meine Stimme, meine Augen, mein Atem versagen,
wirst Du mich, weiß ich, auf Deinen Flügel nehmen.

SPANIEN und unser Hvar,
der tote Dobrović, der Scheich in der Sahara,
sie erscheinen mir noch, wie Gespenster, Trugbilder, Illusionen.
Mein Sibe ist verrückt geworden, das Maul sperrte er auf, wie ein Fisch.
Nur, das sind nicht mehr wir, in Jugend und Kraft,
sondern Papageien, traurige Schimpansen.
Mich Vereinsamten lachen sie aus, schreien sie an:
„Leš! Leš! Leš!", brüllt der Eine.
„Cadaver!", raunt der Zweite mir zu.
„Leiche, Leiche, Leiche," der Dritte.

DU, jedoch, breitest Vergessen,
wie der Schwan die Flügel,
über Donau und Save, wenn sie schlafen.
Du weckst die Freude wieder,
die einmal gewesen ist.
Gekicher, in meinem Schreien sogar, meinem Angstschrei.
Kein Wurm in Dir,
nicht mal vom Grab.
Du leuchtest, wie ein Lächeln hinter Tränen.
In Dir singt noch zur Winterszeit ein Pflüger;
sein Blut - wie Wein,
in einen neuen Schlauch gegossen.
Und wenn mein Kopf sinkt, und die Uhren stehen bleiben,
wirst Du mich küssen, ich weiß, mit dem Kuss einer Mutter.

DU, VERGANGENHEIT, meine Welt,
Jugend, Verliebtheit und Gondeln, Venedig am Himmel,
all das erscheint mir noch: Traum, Woge, wunderbare Blume.
Aber, die Masken greifen nach mir,
das bin nicht mehr ich, kein Venedig blaut mir,
sondern Trümmer, Gespenster und Stelen, sind alles,
was von uns bleibt, auf dieser Erde, im Gras.
Sie sagen: „Dort liegt ein Pascha! - Ein Bettler! - Ein Hund!"
Und das unsre: „Vorbei".

Du jedoch, ragst übern Fluss, den breiten,
und übers fruchtbare Tal; fest, ein erhobenes Schild;
Heiter singst Du, wenn es in der Ferne grollt.
Mit Blitzen webst Du Deine Naht in die Jahrhunderte.
Die Trauer der Menschen: Du kennst sie nicht.
Du hast den Blick des wortlos zielenden Schützen.
Weinen verwandelst Du in das Schillern des Regenbogens.
Kühle spendest Du mir, wie eine Kiefer: ich atme Dich ein.
Und kommt die Stunde, wenn sich mein Herz, das alte, beruhigt,
wirst Du zu einer Akazie, die auf mich fällt wie Regen.

LISSABON, mein Weg, in die Welt, Schlösser auf dem Meeresschaum,
all das erscheint mir noch, solang vor meinen Augen
nachts ein Licht flackert;
die Erde, ich nehme sie mit hinüber, in den Traum, in den Traum…
Nur, das sind nicht mehr Bestien, nicht die Männer, voller Leben,
sondern ohnmächtige Schatten, schwermütig, schwach,
sie sagen mir, sie seien keine Raubtiere, sie seien nicht schuld,
das Leben habe nichts gebracht.
Sie flüstern: „nāo, nāo, nāo"
und unser „nein, nein".

Du, jedoch, holst Atem, in der Stille, nachts.
Die Sterne, sie weisen Dir, im Traum, den Weg zur Sonne.
Lauschen hörst Du Dein Herz in der Tiefe schlagen,
als schlüge es an die dunkle Felswand des Kalemegdan.
Winzige Ameisen sind für Dich unsre Schmerzen.
Unsre Tränen: Perlen, die Du in den Staub wirfst,
um später die Morgenröte über sie auszuschütten;
einst war ich, jung und fröhlich, in sie verliebt.
Und verstummt mein Herz, das müde,
wirst Du, im Schlaf, mein Lager sein.

FINISTERE und ihre Gestalt -
Ehe, Küsse, wirbelnder Sturm -
Sie erscheint mir noch: in Schmetterling, Mohn, Ähre,
während ihr Schritt, der federleichte, mir von damals
in den Ohren klingt.
Aber, das ist nicht mehr sie, nicht ihre lachende Stimme,
nein, ein Kormoran, der wild mit seinen schwarzen Flügeln schlägt,
verkündend: „Jeder Schimmer von Glück versinkt im Ozean."
Ich höre ihn murmeln: „tombre", „sombre",
krächzen: „ombre, ombre" -
und unser: „Grab", „Finsternis".

Du jedoch, ewiger Schwan,
gehst hervor aus Tod, aus Blut,
auf Deinem Weg zur Sonne.
Versinkt mein Tag in Deinem Stromgrund,
erhebst Du Dich, strahlenumwoben, aus dem Morgen.
Verlassen stehe ich in der Sahara,
wo die Karawanen Schatten sind.
Wie die neben dem toten Tuareg kniende Mutter,
tröstest Du mich Sterbenden.
Ist mir die Seele gebrochen
von Speer, Hand und Fuß,
Dir, weiß ich, Dir können sie nichts tun.

DAS LEBEN der Menschen, Windspiel,
verwelktes Blatt, Möwe, Reh, Mond auf offener See,
all das erscheint mir, am Ende, als Traum:
ein Tod nach dem anderen,
ein Schauspieler nach dem anderen, geht.
Nur - all das, auch ich selbst - nie waren wir mehr
als Schaum, Sekunden, ein Flüstern in China,
säuselndes Herz, allmählich kälter, allmählich stiller:
nichts bleibt, nicht Ming, nicht Yang, nicht Yin,
kein Dao, keine Kirschen, kein Mandarin.
Niemand, nichts.

Du, mein heimlicher Traum, schimmernd noch
in unseren Tränen; in Dunkelheit, im Staub.
Wie Tau netzt Dein Blut die Ebene,
um, wie einst, Todeshauch zu kühlen.
Am steinernen Abhang stehend,
noch einmal, will ich Dich umarmen, die Save, die träge Donau.
Meinem Traum entspringt die Sonne.
Strahle! Sprühe! Grolle!
Dein Name: Blitz aus heiterem Himmel.
Schlägt mir die Stunde, auf Deiner alten Uhr -
Dein Name: mein letztes Flüstern.

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