Elend Poem by MILOŠ CRNJANSKI

Elend

Wie auf einen Toten
scheint auf unseren Garten des Elends
die Laterne.
Ob die Nacht schüttet Seide über dich aus?
Hast du dich zu den Damen erhoben?
Wo bist du jetzt, in welcher Ferne?

Liebst du die Straße noch, nachts,
wenn die Hure, durchnäßt, unter der Laterne
ausharrt?
Und wenn die Gäule nasse Paare schleppen
in den Kutschen wie in einem Sarg,
der knarrt.

Bist du jetzt lächelnd irgendwo,
reich und zerstreut,
sprudelnd lachst du immerzu?
O, sei zu mir nicht warm und blumig.
O, sei nichts, sei unglücklich,
wenigstens für mich sei du, du.

O, liebe nicht, liebe nichts,
weder Bücher noch Theater,
all das Gescheite.
Sag, stehst du, bisweilen, plötzlich
in guter Gesellschaft, auch jetzt noch
auf unsrer Seite?

O, erinnerst du dich noch, wir liefen
im Regen nachts durch all die Straßen, triefend
und geduldig?

Erinnerst du dich, für uns warn die Amouren,
die Räuber und die Huren,
nachts alle unschuldig.

Wir schämten uns für das blühende Treiben,
wir schworen, unglücklich zu bleiben,
wenigstens ich und du.
Im Herzen: eine Maus, sie nagt verwegen,
und es fällt ein kühler, feiner Regen.
Wo, jetzt, bist du?


Wien, während der Revolution, 1918.
Für die Studentin Ida Lotringer

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