Amerika Poem by ROCÍO CERÓN

Amerika

Sie hießen Krusevac, nun Cruz. Die Gebäude schwitzten. Es war eine Insel oder ein mit Baracken überzogener Hügel. Eine Män­ner­sache. Die Frauen verwahrten Kartoffeln, bauten die Welt. Eine fade Handarbeit, dachte man. Weichmelodische Land­schaf­ten mit einem Akkordeon im Hintergrund. Gewitztheit. Salz­schäu­mender Bug. Nimm meinen Arm, kappe das Band: ich darf nicht mehr an Ajwar denken. Die Vögel verstummten. Ruder. Die Fische auf dem Grund ahnten es. Manche Gräber bergen ganze Familien. Aber sie, die Frauen, sind in Sicherheit. Alle Sprachen Europas verschwanden. Erde. Apfelgelee riecht nicht nach Nel­ken. Jeder Buchstabe buchstabiert einen Aufent­halt. Diese Frauen sind meine Mütter. Seit jenem Tag — Amerika — ist die Haut auf meinen Wangen Flachland.


Wie betäubt schichten sie, fein säuberlich, Stein auf Stein. In meine Haut gebohrt — Fußsohle — ein bestimmter Name, ein ge­zack­ter Sporn (Stachel oder Klinge oder harter Knoten), wie Glas­splitter im Harn. Eine Stimme hüte ich, die Schatten, Dokument, Verkündung ist: Amerika geht unter. Es gibt da einen Berg oder ein Haus am Meer, das ein Geheimnis birgt. Hülle, die Wüste ist Hülle. Man hört ein wildes Tier in Schmiedeglut: Schwarze und Weiße erfinden ihr Erbe. In meinen Händen halte ich ein Land, das mich verstoßen hat. Fünf Millionen Emigranten passen in das gemeinsame Blutbecken. Amerika ist eine mörderische Mutter.


Rost. Du hältst die Faust zurück. Die Schwere der letzten Blätter und der Schnee. Höre das Schnauben der Insel. So fern und so nah. Das Meer glitzert für alle, doch wo Kohle ist, verbleibt nur die Angst. Uns verteidigen vor. Sonore Akzente erinnern an Sibirien. Grausam, die Kälte. Aber in Sibirien wird es nie Herbst. Hier muss man — beinahe zitternd — Seite an Seite gehen. Jener Garten oder Mauer oder neue Welt. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Rost: von Portobelo bis nach Patagonien. Überall der gleiche Stahl. Fühlung nach Augenmaß. Staub verfinstert das weite Land. Langsamkeit unter den Passagieren: du presst dein Ohr an die U-Bahn, etwas entzündet sich. Brennt sich in den Körper.


Amerika ist eine sonore Wüste. Chilenische Geflügelpfanne weckt Tote auf, peruanisches Chilihuhn schenkt Frieden oder Regen­bogen­forelle trinkt kühles Blondes. Dunkle Wolken wandeln Stim­mungen von Tal und Tümmler. Knirschende Steinplatten auf dem Machu Picchu. — Finster ist das Amt, eine Heilige zu sein. Ich hatte ein Land, sie raubten es mir, nun gibt es einen Vergnü­gungs­park: Spiele antworten dem Tod, sind der Tod. Etwas auf dem Weg (Gräblein, Graben, gib mir meine Fassung wieder, das wahre Gesicht meines Landes) ist Grab und Geburt. Aguachile lodert im Kiefer. Kakao schmeckt wund nach Steinschlag. Der Tlaloc-Brunnen, die Strandhütten von Manantiales. Cabo Polonia in meiner Erinnerung. Und der Quell, der unaufhörlich den staubtrockenen, grünlichen Mate tränkt, der Großmutters Stimme umspült.


Sie erzählten, es sei eine Ausgeburt von Schlägen, von Stadt­vierteln, wo der Son träge an den Stimmen kratzt und Schnaps­fässer durch die Straßen gewuchtet werden ohne Brot im Leib; sie erzählten, es sei eine Ausgeburt von Verachtung, von Sklavinnen, von bitteren Nachtlagern zwischen Soldaten und kupfernen Kör­pern; sie erzählten, es sei ein Märtyrer — sie irrten, sie irren sich —, dann erzählten sie etwas von Spiegeln und Schweinefleisch, von neuen Vornamen und neuen Nachnamen; sie lehrten es den Gebrauch des Rades (die Null kannte es schon): um ein Haar wäre es am Fieber krepiert. Und jeder Schlag hat es stärker gemacht. Wie das Gedicht, Amerika ist eine harte Narbe auf dem Körper.


La Hispaniola. Als sei es das allererste Land. Das ist. Als enthielte diese Erinnerung bereits alle Nächte Amerikas. Spur. Die Männer verrohen vom Rum, sage ich mir. Meine Großmutter betet mit dem Glas Wodka neben sich, beten heißt sich selbst belügen, sagt sie zu mir, aber es ist Balsam für die Seele. Wie destilliertes Falsch­gold. Geburt. Wie ein Schafott, dem man sich mit auf­ge­ris­se­nem Mund und der Gier nach schiffbrüchiger Nahrung ergibt. Spring auf den fahrenden Zug, sag ich mir. Jetzt also Ducati-Schuhe, Schmalspur-Casanovas wie cool, Goldkettchen um den Hals, feines Hemd, die Marke schnappt sich den Körper, brüllt „Herkunft". Amerika geht unter, und keiner hat es gemerkt. Das andere Amerika hat ihm das Hirn ausgesaugt.


Gib mir ein Sandwich. Einen Slang, der die Stimmbänder meiner Sprache schmiert. Ein Trapez will ich. Zum Schweben. Koffein­gereizten Scharfsinn will ich. Zum Eintauchen in. Das andere Land. Ganze Gallonen. Abertausende Liter Blut. Wer sie waren und wer sie sind. Alle sitzen auf einem Seil. Abgrund. Aus den Sprachruinen anklingende Anmaßung. Da ist ein namenloser Land­strich. Auf dem Grund der Tasse, sagt mir eine Zigeunerin im Forestal-Park, ist ein Bild: Ein Mann denkt noch an seine Tochter. Bleib stehen, das andere Land und dieses männliche Profil, das verschwommen aus den Schatten tritt. Serbien war Deckung — Atlantik — ist nun See. Urbild vom See.


Eine Blume vom Grab. Verwaschenes Plastik, Erde. Grobnica—Paris. Zisternennacken aus Europas Saat für die Verwahrung der Überreste. Nebel und Kohle. Heu und Bagger, Treibgut. Tang, leuchtende Gesichterflut vor der Reibung. Die ganze Familie zer­splittert. Öl fürs Museum. Friedhof und Nische, vergrab sie im Nerv. Purpurbecken, Plantagen, wo Körper auf Körper gepfropft. Verätzung. Du gehst durch den Wald: viel Vertrauen auf den Lippen. Die Uniform rettet dich auch nicht. Dort, im Golf von Mexiko sirren die Vögel in Rätseln. Höhle oder Habichtskraut. Verschleiertes Meer, der Schlüssel zur Faltung. Die Wasser­ober­fläche erinnert an die Toten. — Sich auflösen in den Falten, in jeder einzelnen Falte der Mutter. Halten Sie die Luft an. Lunge. Atmen Sie tief durch. Haben Sie Schmerzen? An dieser Stelle, ja, genau da? Das ist festsitzende Angst. Das ist Amerika, der Kno­ten in jeder Kniekehle. Splitter, Blume gepflückt in Kalemegdan. Und an jeder Ecke das Bild eines Gartens, in dem die Stimmen blühen.


Die leeren Teller. Im Grunde ist der Ton ein Kraftfeld. Blau. Nicht Blau, sondern Provinz und Spur, wo — Eleonora vor unseren Au­gen verschwimmt. Himmel. Der Blick macht die Heimat. Es wei­tet sich in ihr gebärt schlägt über ihr zusammen ihr Land. Ame­ri­ka ist weder Orchidee noch Tier noch Verwandter. Die Stim­me der Großmutter war geschmeidig. Amerika flaniert zwi­schen Fron­ten. Verdreckt das Wasser. Keimt in der Scheiße. Mutter Ame­rika. Vater Amerika. Opfere etwas. Opfere der Pacha­mama ein Körperteil. Betrete dieses Land und durchbohre dir die Zunge. Die Steine predigen Gestalt und Übergang. Blinder Knoten zwi­schen Flüssen. Gebirgskette. Deine Haut — Atacama & Sono­ra, ist Konzentration, Kreiseln, Kartographie und Knoten. Jahr­hundert.

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