St. Kakerlake Poem by Wolfgang Steinmann

St. Kakerlake

Ich gebe zu: ich hab dich nie gekannt, doch graute mir vor dir,
Ich gebe zu: ich hab dich nie angefasst, doch sagte man du seist abscheulich,
Was immer auch geschah, bewies, dass man deine Art verabscheuen muss.
Ich gebe zu: meinesgleichen hat dir den Krieg erklärt,
doch konnte ich keinen Unterschied sehen, du glichest den anderen;
Ich gebe zu: meine Kindheit habe ich in Häusern ohne dich verbracht;
Ich gebe zu: jeder, den ich kannte ging auf dich zu, nur
um dich zu zerquetschen und zu zertrten, man goss kochendes
Wasser auf dich, spülte dich in der Toilette runter;
Ich gebe zu: Du sahst genau so aus wie alle anderen,
aber du warst dunkel, schnell auf den Beinen und schlank.
Anders als ich.
Ich gebe zu: ich kannte deine Gedichte nicht,
ich kannte deine Weisheiten nicht,
ich konnte deine Sprache nicht lesen oder sprechen,
ich konnte deine Lieder nicht singen,
ich konnte unsere Kinder nicht lehren,
deine Speisen zu essen,
deine Gedichte zu lesen,
dein Lieder zu singen;
Und doch behaupten wir, dass du unsere Nahrung verschmutzt,
Und doch kennen wir dich überhaupt nicht.

Gestern habe ich dich zum ersten Mal wirklich gesehen.
Du warst heller als die anderen, sahst
weder gut noch böse aus.
Zum ersten Mal habe ich dich wirklich angeschaut.
Du schienst mir verstört und verschmitzt.

Heute habe ich dich zum ersten Mal berürt.
Du warst überrascht und flohst, ranntest schnell weg
wie ein Tänzer, leicht, unvertraut und schön, wenn berührt.
Ich strecke meine Hand aus, berühre, begreife dich allmählich.

(nach: Muriel Rukeyser: St. Roach)

This is a translation of the poem St. Roach by Muriel Rukeyser
Monday, January 12, 2015
Topic(s) of this poem: racism
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