VOLLENDETES PORTRÄT Poem by Mirta Rosenberg

VOLLENDETES PORTRÄT



The art of losing isn´t hard to master
Elizabeth Bishop


Es ist eine Möglichkeit zu sagen,
ich möchte ohne Worte bleiben,
aufgeben ohne Erklärungen.

Wie lange werde ich von dem
sprechen, was nicht mehr ist.

Während ich über sie schreibe,
kann sie mich nicht mehr
sehen mit diesen Augen.

Auch ich öffne sie nachts
und betrachte die Stille
in der Dunkelheit,
wo das Porträt aufhört,
ohne dass es gelingt, es zu sehen.

und ich denke
und ich denke
und ich denke

an deinen Verfall,
der kein Ende findet in mir,

an deinen Wunsch zu Hause anzukommen:
den Schlüssel in der Hand,
an die Tür des Taxis geklammert,
lässt du dich in deine Tür fallen
beinahe mit der ungewissen Absicht
eines Blattes im Herbst,

diese Art des Verfalls,

und diese Augen golden fast,
von denen du behauptet hast,
es seien grüne Augen. Um jeden Moment
deine gutmütigen Augen zu sehen,
die mich nicht mehr anschauen,
auch wenn ich mich an sie erinnere.

Und jetzt möchte ich
ohne Worte bleiben. Verlieren können
das, was man verliert.

Oder so scheint es.

Es scheint, dass wir beide
ohne Mutter geblieben sind:
ich ohne dich
du ohne sie,

wie verlorene Kettenglieder,
und immer so fort,
bis sie sich mit den Vätern
für kurze Zeit verbinden,


aber das ist eine andere Geschichte,
die ein Hochzeitsfoto besser erzählt,
für das ich noch nie
Worte hatte,

als ob es ein Vorbote meines
eignen Verfalls gewesen wäre.

Von den Vätern sagtest du,
dass deiner grüne Augen hatte,
wie du, wie dein Enkel Juan
und niemand hatte sie wirklich ganz grün,
auch wenn sie sie alle verdient hätten:
Es war deine Art,
dir das Porträt schön zu sehen.

Von ihr sagtest du hingegen,
„seit ihrem Tod war ich nicht mehr dieselbe"
und das war vielleicht deine Art,
das Porträt „nicht" zu vollenden.

Das Wort „nicht".

Ich sage das gleiche.

Auch wenn es etwas Gewöhnliches ist,
im allgemeinen bleiben wir alle ohne sie,
und diese Abwesenheit von Licht,
scheint die Augen ruhen zu lassen,
ohne sie zu leeren. Sie belebt sie
oder bringt sie in die Dunkelheit zurück,
in der das Porträt endet.

Mein Vater sagte von der seinen:
Ich wurde mit ihr geboren und nun
werde ich allein sterben müssen.
Und dann starb er.

Mein Lehrer sagte von der seinen:
Ich verbrachte mein Leben damit,
die Handschrift von Mutter zu beherrschen.
Und dann beherrschte er sie.

Der Schmerz war vollkommen:
Sie erzählten von ihr,
und sprachen über sich selbst.

Oder so scheint es.

Es scheint,
dass das Verlieren keine schwierige Kunst ist:
die wahren Toten jedes Einzelnen
sind die geliebten Opfer der Lebenden,

sind Opfer von dem, was ein jeder
über sie sagte.

Aus dem Spanischen von Andreas Altmann

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