DAS GESETZ Poem by ELO VIIDING

DAS GESETZ

Warum bestraft man diese Frauen
anno 1105
anno 1205
anno 1305
anno 1405
anno 1505
anno 1605
anno 1705
anno 1805
anno 1905
anno 1915
anno 1925
anno 1935
anno 1945
anno 1955
anno 1965
anno 1975
anno 1985
anno 1995
mit dem Gesetz?

Und anno 2005
mit dem Gesetz über die Gleichberechtigung,
wo sie ja ohnehin gleich sind und ihre Arbeit gut machen?
Ihre Gleichheitsarbeit,
für die ihnen nie jemand was bezahlt hat,
und sich auch jetzt nicht so weit herabgelassen hat,
dass er von Geld redete, von Vergütung für die Jahrhunderte,
dafür hat man das Gesetz gemacht, damit sie endlich
aufhören mögen, sich zu legitimieren,
doch vorher mussten sie sich einführen.
O wie viel gute Arbeit wurde da doch
bis ans andere Ende der Stadt getragen
zur Bewertung vor die Nase eines gleichgültigen Beamten!

Jetzt brauchen sie gar nichts mehr zu tun,
brauchen nichtmal gute Ergebnisse vorzuweisen.
Das heißt überhaupt Ergebnisse vorzuweisen.
Sie können sich aufs Sofa schmeißen
und schlafen,
oder sie können sich überlegen, was sie denen sagen,
die nach Mitternacht an ihre Gewissenstür klopfen
nach Mitternacht im Radio, wo die Alten lamentieren,
dass die Frauen nicht mehr gebären wollen,
dass es überhaupt keine richtigen Frauen mehr gibt,
dass alle nur hinterm Geld her sind,
und alle nur das Geld wollen,
und mit dem Geld wollen sie ihre Miete bezahlen
und Essen und Windeln und Klamotten kaufen,
und sie wollen auch keine Selbstmörder und Rückfalltäter,
keine Behinderten und Arbeitswütigen mehr liefern,
denn sie wollen psychologisch reif sein,
bereit zur Mutterschaft, damals machte man sowas nicht,
das war Sünde, denn Kinder kosteten ja nichts!

Das Gefasel eines mitfühlenden Moderators
und die Zwangsvorstellungen vom gesellschaftlichen Nutzen
rütteln sie wieder wach
aus ihrem kurzen und unruhigen Traum,

nach einer schlaflosen Nacht
sehen sie nicht gerade glänzend aus,
aber sie haben jetzt Zeit, sie brauchen nicht mehr das ignorante
oder gerissene, selbstsüchtige, gierige Lächeln der anderen zu sehen,
das sich auf dem Weg zur Erleuchtung befindet.
Ja, vielleicht sagt uns dies Gelächel einmal,
warum man diese Frauen bestrafte,
als sie mal ein paar Tage meditiert hatten
in ihren Tempeln, in ihren Arbeitszimmern,
ihren Sozialämtern, über Vorurteile und Referate gebeugt.

Die Arbeit dieser Frauen war bindend und ernst,
sie waren bedrohlich und ernst.
Sie mussten so viele Dinge tun,
von denen wir nicht einmal zu träumen wagten —
wir, die wir ihnen die Gesetze machen.

Es ist nicht so lange her, da mussten sie nach Hause
und sich Capture Overnight Success-Serum ins Gesicht spritzen,
oder die Hände vors Gesicht schlagen und sich aufs Bett werfen,
um in demselben trostlosen Alltag wieder aufzuwachen,
wo ihnen nur noch der Fernseher, die Schlaftrunkenheit
oder eine Zauberin helfen konnte,
oder der Instinkt, der nie die Wahrheit sagen darf,
weil die sich ja nicht schön anhört,
der Instinkt, der nie laut schreien darf,
weil was er sagt, erniedrigend ist.
Der Instinkt, gegen den man sich in einem fort wehren muss
mit allen Gesetzen und großen Worten,

vor allem aber mussten diese Frauen —
und das war ihre einzige wirkliche Pflicht —
ihre Töchter
zu unzuverlässigen,
ungerechten Menschen erziehen,
die sich und die anderen
kaputt machen,
die Glück und Rechtfertigung brauchen,
die andauernd was brauchen
von anderen,
Vollkommenheit und heile Welten,
die andauernd sagen können — ich hab keine Schuld,
denn ich bin doch nicht dafür verantwortlich,
was man serviert hat und auf was ich doch gewartet habe,
Schuld hat meine Mutter,
und die eine und die andere Frau,
die Gesellschaft der Frauen,
in der man in einem fort dasselbe schwatzt,
das nirgendwohin führt, sich aber gut reden lässt —
es gibt ein so gutes Selbstgefühl.

Das Gleichberechtigungsgesetz kam
und niemand erinnert sich mehr,
warum man diese Frauen bestrafte
mit Erfolgsgefühl, Glauben an Gerechtigkeit, Kollagen,
wenn sie schon mit einem Blick auf die Jüngeren sahen,
als wären sie sehr müde.
Warum wollten sie sehen, dass diese Jüngeren
eigentlich nichts wissen?
Weil ihr Wunsch echt war.

Man sollte gar nicht wissen,
was dich entflammt, umso mehr
als du schon ahnst, was hinter dem Wissen steckt.

Warum bestrafte man diese Frauen
in den Trams, Trolleys und Bussen,
wo man ihnen ein Netz mit Apfelsinen
auf die Knie legte
oder seinen Bauch an ihren Hintern presste
und ihnen ins Ohr keuchte,
oder sie fragte, wohin sie fahren,
wenn sie stinksauer waren oder sauer,
oder einfach müde,
aber verständig antworten mussten und
mit dem Fragenden reden wie mit einem Kind.

Womit hatten sie es verdient,
dass ihre Ehemänner sie
im letzten Viertel ihrer Schwangerschaft anriefen,
um ihnen zu sagen: ich habe andere Interessen,
oder: kannst du mein Zimmer frei machen,
ich brauch schließlich auch meine Privatsphäre?

Warum gehört der Narzissmus ihnen,
wem ist das erlaubt?
Dieses symbolische Kapital, dieser
Narzissmus, der gestattet
keine einzige Frage zu beantworten.
Warum ist er so schön —
dieser glänzende, wunderbare Narzissmus,
dieser Narzissmus bei Anderen, an dem sie sich ergötzen mussten,
für den große Prämien verliehen wurden,
große schöne Büsten modelliert wurden
und dabei zynisch und siegreich gelächelt wurde,
als man sie vor dem Saal überreicht bekam,
sogar als man die Blumen in Empfang nahm,
sogar während man in die Geschichte einging,
wagte man über die kleinen bedeutungslosen
Probleme zu lächeln.

Womit nähren wir unsere Gelüste,
wenn wir demokratische, ach so mutige Kommentare schreiben
für die Netzausgabe der Zeitung
über die Witwe jenes Wissenschaftlers,
die besser verreckt wäre,
damit ihr Mann sich hätte weiterentwickeln können,
und obgleich die Frau sich in der gestrigen Zeitung entschuldigte,
dass sie alles getan habe, auf dass ihr Mann glücklich wäre,
können wir ihr bestätigen — du warst eine dumme Nutte,
die es nicht verstand, für ihren Genius zu sorgen.
So diskutieren wir also,
und enden schließlich wo die Würmer ihr Nest in unserm Bauch bauen,
in unserm zarten, schutzlosen Bauch, in dem sich so viel Galle
angesammelt hatte wegen der schändlichen Witwe des Wissenschaftlers,
die einfach ihren Mann vergiftete, indem sie ihm das Leben
zur Hölle machte und ihn schließlich ins Grab brachte
und selber zurückblieb und sich beim Morgenkaffee an all den
Zeitungsgeschichten ergötzte — nicht zu reden von dem vielen Geld.

Womit hatten sie es verdient, dass man sie zu Feinden machte,
von denen man sich doch nicht loszusagen wagte,
und wenn sie alle Schlachten verloren hatten,
sich bei ihnen entschuldigte und ihnen Komplimente machte?

Womit hatten sie all diese Giftdämpfe verdient,
und die anmaßenden Fragen,
die sich aus jeder Mailinglist verbreiteten,
und die an jeder Straßenecke prangten,
auf Plakaten, für deren Aushang man jetzt
eine ordentliche Strafe aufgebrummt bekäme?

Womit hatten sie diesen
jahrhundertelangen
verbalen Terror verdient,
dieses letzte Wort arroganter Überlegenheit,
das man ihnen
nicht einmal zum Lesen gegeben hatte,
nicht einmal zum ANSCHAUEN,
nicht einmal zu sehen,
geschweige denn darüber zu entscheiden?
Ihre Sache war es lediglich,
egal in welch dummem Kontext,
sich zur Schau zu stellen.

Womit hatten sie denn nun wirklich dieses Augenzwinkern
der intellektuellen Gurus verdient, wenn sie sich so nett
unter die Gesellschaft mischten,
was bedeutete ein besseres, gar feineres Leben,
keine kleinlichen Leute, kein oberflächliches Lachen,
keine Anspielungen, Lästigkeiten, Anspielungen, Anspielungen
und manchmal auchmal ein Gedanke,

ein absurder Gedanke, zu dem alle überdrüssig nickten,
aber nicht sie!
Sie waren begeistert.
Sie kreischten direkt vor Begeisterung, sie waren dankbar, empathisch,
sie waren ganz Ohr, einnehmend, gesellig, sexy, nett,
und was konnte man ihnen schon übelnehmen,
wenn sie so teilnahmsvoll mit Lippen und Sinnen und Ohren
alles mögliche Geschwätz aufschnappten, das man da
in den Raucherzimmern und Zeitungsredaktionen von sich gab,
in all den Cafés, in denen sie herumsaßen
und wo man in Gesellschaft auf sie einredete
und wo man ihnen übers Maul fuhr,
wo man über ihre Seelen fuhr
beim Versuch ihr Inneres zu beruhigen,
denn ihr Schweigen war ja belanglos, nicht existent.

Warum verstummt man immer noch, wenn man ihre Zimmer betritt?
Was ist mit ihnen passiert, was haben sie getan, dass man sie
irgendwie anders sieht? Oder ist das vielleicht Achtung?

Womit haben sie es verdient,
dass man sie nicht mehr belügt,
nichtmal wenn man sie in die Augen sieht?

Was mit deiner Mutter, mit ihrer Mutter geschah
und mit meiner Mutter und auch mit uns hätte geschehn können,
wenn wir nur gewollt hätten, uns gegen unsere Mütter zu wenden,
ihnen die Väter abspenstig zu machen
und die Großväter
und die Urgroßväter
und die Ururgroßväter
und deren Väter und Großväter,
denn wir waren ja die Stärkeren —
wir kamen immer im Essigwasser angeschwommen,
und selbst aus dem Todesmund konnten wir emporwachsen,
dahin, wo es gerade nötig war. Wir kannten die Tricks
und überlisteten alle, die vor uns waren

und niemand hat uns gefragt,
was würde geschehn, wenn wir in uns sehn würden,
warum wir gelebt haben und wie wir gelebt haben,
anstatt uns den Gesetzen zu widersetzen,
die uns gerade so glücklich gemacht haben,
wie wir sie zu machen pflegen?

Unsere Körper einander übertrumpfen lassen —
das verstanden wir, wir kamen aus der Gesichts-
und Dekolletébereichmassage immer
hochtechnologisch, dermatologisch getestet,

aber wir wollten es nicht wissen,
warum man denn die anderen bestrafte.
Wir wollen es ja doch nicht wissen,
immer noch nicht,
warum man ihnen,
trotz des über uns gekommenen Gesetzes
so viele sinnlose Bürden auflädt
da in der Wüste und hinter den Bergen.

Meinen wir wirklich, wir blieben selber frei,
wenn wir die Freiheit der anderen
nicht auch unter den eigenen Füßen sehen. Geht das

in der Glut humanistischen Lächelns,
wenn die großen Herren Götter,
Kosmopoliten und Profeten spielen
in dieser armen und welkenden Gemeinschaft,
in diesem muffigen, alternden Saal, wo
das Verständnis für die Dinge der Welt,
für die kleinen Rechte, die einfachen Geschichten
Notizbücher und Kameras der Reporter füllte?
Warteten sie vielleicht auf die Ankunft des Gesetzes?
Hätten sie es vielleicht bleiben lassen können
darüber zu lachen?
Nein.

Jetzt ist alles anders.
Herrscht große, gerechte Freude
über die Freiheit, von der man sagt,
sie sei nahe,
und keiner fragt jetzt mehr,

warum man uns denn bestraft?

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