Brief an die Freiheit Poem by ANDREJ KHADANOVICH

Brief an die Freiheit

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Wir sind noch eine ungeborene Nation,
wir sind Häftlinge versteinerter Eizellen,
wir sind wirr denkende Vegetation;
mancher schon ein Spitzbube, mancher noch ein Bub,

mancher schreibt und führt die jungen Männer
mit althergebrachten Phrasen in die Irre:
Kämpfer, Fleißiger, Held, Draufgänger
Titan oder Titanik der lokalen Renaissance.

Verdrossen zählen wir den Lauf der Jahre,
Jahre im Gefängnis schleichend, lang wie Schlangen!
Wo ist sie denn, die vollbusige Dame,
mit der wir auf die Barrikaden gelangen?

Was wir besitzen, würden wir ihr zu Füßen schleudern!
Und die Wächter hören unser Flehen,
wenn wir nachts in unseren bunten Träumen
diese Beauté mal unbekleidet sehen.

Wir fällen Bäume, behauen Stein,
Wir graben Gruben, konzipieren Kanäle,
erwarten Besuch, ertragen die Pein,
zählen die Tage, vergöttern unser unübertrefflichs Sein.

Denn wir glauben, der uns umgebende Dreck
wird noch zu wunderbarem Mist in unsrem Heim.
Durch das vergitterte Fenster mit Schreck
härten wir den Atem für das Atmen in der Freiheit.

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